Modellgestützte Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen

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Projektdetails

  • Consortium:

    TU Wien, Institut für Analysis und Scientific Computering, Forschungsgruppe Mathematik und Simulation; Responsible Research Practices

    FH Campus Wien, Kompetenzzentrum für Angewandte Pflegeforschung; Department Gesundheitswissenschaften, Kompetenzzentrum INDICATION

    FH Technikum Wien, Department Computer Science


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Kurzzusammenfassung

Die Regulierung von Schilddrüsenhormonen ist ein noch junges Forschungsgebiet, da der Kontrollkreislauf noch nicht vollständig erforscht ist. Aufgrund der daraus resultierenden Komplexität bei der Bestimmung der individuellen Medikamentendosierung und der zunehmenden Zahl von Schilddrüsenerkrankungen könnte ein medizinisches Hilfsmittel auf der Grundlage eines mathematischen Modells die Behandlungszeit verkürzen.
Die Schilddrüse bildet zusammen mit der Hypophyse und dem Hypothalamus ein Regelsystem, das sich durch die Ausschüttung von Hormonen gegenseitig beeinflusst. Der Gleichgewichtspunkt dieses Systems, der so genannte Set-Point, ist individuell, was bedeutet, dass die Bestimmung der richtigen Medikamentenmenge für Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion mehrere Behandlungstermine und damit viel Zeit in Anspruch nimmt. Langfristiges Ziel ist es, ein medizinisches Assistenzinstrument zu entwickeln, das auf der Grundlage früherer Messungen den Set-Point bestimmt und eine Medikamentenempfehlung für eine Person im Sinne einer individualisierten Medizin formuliert. Zeitbasierte mathematische Modelle werden weiter untersucht und mit bestehenden Daten, die im Rahmen einer retrospektiven Studie am AKH erhoben wurden, validiert und verifiziert. Basierend auf dem ausgewählten Hauptmodell wird die Entwicklung einer App zur Unterstützung des medizinischen Personals konzipiert. Das inkludiert Programmierung, ethische Aspekte und datenbezogene Faktoren. Zur Evaluierung der App in der klinischen Praxis wird eine groß angelegte Studie konzipiert.

Ergebniszusammenfassung

Die Schilddrüse bildet in Verbindung mit der Hypophyse und dem Hypothalamus aufgrund ihres gegenseitigen Einflusses durch abgegebene Hormone ein geregeltes System. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Hormone TSH (Thyroid-Stimulating Hormone) und FT4 (Free Thyroxin) wichtig, da diese in der Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen eine wesentliche Rolle spielen. Der Gleichgewichtspunkt dieses physiologischen Systems, der sogenannte Set-Point, ist individuell, was zur Folge hat, dass die Bestimmung der Dosierungsmenge einer Medikation bei Patient_innen mit Schilddrüsenunterfunktion mehrerer Behandlungstermine und damit einer langen Zeit bedarf. Das langfristige Ziel ist die Entwicklung eines medizinischen Assistenztools, das auf Basis früherer Messungen den Set-Point bestimmt und im Sinne der individualisierten Medizin eine Medikationsempfehlung für eine Person bestimmt. Das CTS-Projekt bildet den Proof of Concept für die Machbarkeit dieses Assistenztools.

Zeitbasierte mathematische Modelle, die den Schilddrüsenregelkreis mithilfe von Differentialgleichungen beschrieben, wurden in der ersten Phase dieses Projekts weiter untersucht und mit bereits vorhandenen Daten validiert und verifiziert. Im Rahmen des Projekts wurden zwar erste Erfolge in der Kalibrierung von Modellparametern an klinischen Daten erzielt, allerdings ist noch weitere Forschung notwendig, um unter anderem die Medikation als Modellparameter zu inkludieren und schlussendlich eine modellbasierte Dosierungsempfehlung zu erzielen. Die ersten Erfahrungen im Rahmen des Projekts haben gezeigt, dass noch etliches an Grundlagenforschung in dieses Feld investiert werden muss.

Die Entwicklung einer App zur Unterstützung von medizinischem Personal wurde konzipiert und ein erster Prototyp entwickelt. Im Zentrum des Entwicklungsprozesses stand die Schaffung einer Responsive Web-App, die medizinisches Personal bei der Analyse und Interpretation von Hormonwerten unterstützt. Die Hauptaufgabe der App ist es, eine intuitive und zugängliche Plattform für die Eingabe, Visualisierung und Analyse von TSH- und FT4-Werten sowie Dosierempfehlungen zu Medikationen zu bieten. Ziel war es, eine Anwendung zu entwickeln, die auf verschiedenen Endgeräten reibungslos funktioniert und medizinischem Personal ermöglicht, individuelle Behandlungspläne schneller und präziser zu erstellen. Dies umfasste die Programmierung, ethische Aspekte und datenbezogene Faktoren.

Für die Evaluierung der App in der klinischen Praxis wurde eine großangelegte Studie konzipiert. Als Erhebungsmethode wurden teilstrukturierte leitfadengestützte Expert_innen-Interviews gewählt. Um die Zielgruppe bestmöglich zu erfassen, wurden in Anlehnung an das Konzept noch drei die Zielgruppe eingegrenzten Personas, ein Nutzungsszenario und eine Stakeholdermatrix entwickelt, um diese mit den Studienteilnehmer_innen zu diskutieren. Im Anschluss an die Interviews erhielten die Studienteilnehmer_innen einen standardisierten Fragebogen, welcher sich je nach Adressatenkreis in der Art der Fragestellung unterscheidet.

Die Verfügbarkeit eines validen Assistenztools zur Einstellung der Schilddrüsenmedikation wurde in der Befragung als sehr positiv bewertet. Insbesondere Hausarztpraxen sind betroffen, hier wird großes Potential gesehen. Da die Allgemeinmediziner_innen nicht zu ausgesprochenen Schilddrüsenspezialist_innen zählen, ist die Entwicklung eines vertrauenswürdigen, an Komplexität überschaubaren Assistenztools essentiell, um einen Einsatz in der Praxis zu gewährleisten, führten die Expert_innen aus.

In einer möglichen Fortsetzung könnte das bereits existierende Konsortium unter Einbezug eines klinischen Partners ein fortschrittliches Medikationsmodell für Schilddrüsenerkrankungen entwickeln. Der Fokus muss hier auf der Integration zusätzlicher (physiologischer) Parameter, umfassender klinischer Evaluierung und der (Weiter-) Entwicklung einer App als Assistenztool liegen. Diese App würde nicht nur personalisierte Medikationsempfehlungen bieten, sondern auch die Versorgung im niedergelassenen Bereich durch direkten Zugang zu spezialisiertem Wissen verbessern. Ziel wäre es (weiterhin), die Patientenversorgung durch individualisierte Behandlungsansätze und einen Datenpool für zukünftige Forschungen zu optimieren.